Leserbrief zu - Gegen schärferes Sexualstrafrecht
verschickt an die NWZ am 23. April 2015 Auszüge aus dem Brief
Auch wir begrüßen die Verbesserungen im Opferschutz in Strafverfahren, die Herr Dr. Reuter benennt. Unerwähnt blieb leider, dass schwer belastete Opferzeuginnen ein Anrecht auf psychosoziale Prozessbegleitung haben. Hierfür bieten wir mit einer Fachberaterin umfassende Hilfe für Mädchen und Frauen, die sexualisierte Gewalt erlebt haben.
Trotz vieler Verbesserungen im Opferschutz müssen wir feststellen, dass die Bewertung von sexualisierten Grenzverletzungen nicht nur im Strafverfahren sondern gesamtgesellschaftlich nicht dem Leiden entspricht, das bei Betroffenen entsteht. Sie leiden nicht nur akut unter den so genannten Posttraumatischen Belastungsreaktionen wie Schlafstörungen, Depressionen, Suizidalität sondern langfristig unter Misstrauen, mangelndem Selbstvertrauen, Einsamkeit und geringer Stresstoleranz. Dies belegen Erkenntnisse der Psychotraumatologie.
Zum Strafmaß ist zu beobachten, dass in Deutschland z. B. eine Steuerhinterziehung in der Regel härter bestraft wird als ein sexualisierter Übergriff. Den Betroffenen von sexualisierter Gewalt ist dies nicht zu vermitteln, leiden sie doch meist ihr Leben lang unter den Folgen der Gewalt. Dabei spielt das so genannte Eindringen in den Körper für Betroffene nicht die wichtigste Rolle. Auch ein Kind, das für Kinderpornographie, in der Fachsprache wird das Kinderfolterdokumentation genannt, fotografiert oder gefilmt wird, kann unter schwersten Posttraumatischen Belastungsreaktionen leiden. Diejenigen, die Kinderfolterdokumentationen sich ansehen, blenden dies offensichtlich völlig aus.
Wir wünschen uns die opfergerechte Anwendung der Strafmöglichkeiten, auch unter Hinzuziehung der Erkenntnisse aus der Psychotraumatologie. Und wir wünschen uns erleichterte Zugänge zu Hilfen für Gewaltbetroffene, denn immer noch hat nicht jede Betroffene eine Juristin als Nebenklagevertretung oder eine Fachberaterin an ihrer Seite.